Hyperreal
Diejenigen, die ab und zu mal das Privileg (oder die Pflicht 😅) hatten, einem meiner Vorträge zu hören oder hier und da mitzulesen, wissen es wahrscheinlich schon: Nahezu mein ganzes verdammtes Leben dreht sich um Hyperrealität. Und zwar seit 1982, als ich meiner Mutter verkündete: "Mama, ich will irgendwann mal im Computer leben!" Damals lief gerade "TRON" im Kino, und ich war fasziniert von der Idee, in eine digitale Welt einzutauchen. Und habe seitdem nichts anderes getan als mein und das Leben der anderen digital zu transformieren und dabei auch noch Geld zu verdienen.
Aber, Vorsicht mit Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen. Denn Hier sitze ich nun, mehr als 40 Jahre später, und frage mich: Lebe ich eigentlich noch in der Realität oder bin ich längst Teil einer gigantischen Simulation? Ich komme mir immer wieder vor wie ein Typ, der verzweifelt versucht, seine VR-Brille abzunehmen, nur um festzustellen, dass er gar keine trägt.
Die Grenzen zwischen dem Echten und dem Künstlichen verschwimmen zusehends. Meine Instagram-Feed sieht makelloser aus als jede Realität es je sein könnte, meine LinkedIn-Connections sind erfolgreicher als jeder echte Mensch, den ich kenne, und mein Avatar im Metaverse hat definitiv die bessere Frisur. Willkommen in der Hyperrealität!
Aber lasst mich kurz innehalten und ein Geständnis ablegen: ich finde es eigentlich nicht schlimm. Ich war schon immer anfällig für diese Art von Realitätsflucht. Als Kind einer, sagen wir mal, "komplizierten" Familie (ein Euphemismus, den Therapeuten lieben), waren Storys, vor allem Science Fiction und Fantasy, von Tolkien bis Tad Williams, immer mein Zufluchtsort. Die Realität? Pah, völlig überbewertet! Meine eigenen Geschichten, fremde imaginären Welten – das war immer mein Zuhause.
Und jetzt? Jetzt scheint die ganze Welt hyperreal zu sein. Social Media, Metaverse, KI – alles Dinge, die ich mir als kleiner Nerd erträumt habe. Aber wie der weise Peter Parker schon sagte: "Mit großer Macht kommt große Verantwortung." (Ja, ich zitiere Spider-Man. Deal with it.)
Einerseits bietet diese neue Welt unendliche Möglichkeiten. Wir können sein, wer wir wollen, können Welten erschaffen und Grenzen überwinden. Wir haben marveleske Superkräfte. Andererseits sehen wir auch die Schattenseiten: Echo-Kammern, die unsere Meinungen verstärken, bis wir für andere Perspektiven blind werden. Tribalismus, der uns in digitale und zusehends auch reale Stämme spaltet, die sich gegenseitig auf Byte und Blut bekämpfen. Fake News, die sich schneller verbreiten als Covid in einer überfüllten U-Bahn voller Impfverweigerer.
Und ich? Ich stehe mittendrin und fühle mich wie ein Kind im Süßwarenladen – begeistert von all den Möglichkeiten, aber mit einem leichten Magengrummeln, weil ich befürchte, dass zu viel davon nicht gut für mich, für uns sein könnte.
Also habe ich beschlossen, meine jahrzehntelange Erfahrung als professioneller Realitätsflüchtling zu nutzen und zum Beobachter dieser Hyperrealität zu werden. In den kommenden Monaten und Jahren möchte ich euch in diesem Blog auf eine Reise mitnehmen. Eine Reise durch die Zwischenwelten von Realität und Fiktion, von analogem Schein und digitalem Sein - und umgekehrt (sic!).
Ich verspreche, dabei so wertfrei und neugierig wie möglich zu sein – auch wenn das für einen alten, weißen Mann wie mich eine Herausforderung sein mag. Ich liege altersmäßig zwischen Musk und Döpfner und das macht mir immer wieder Angst. Aber ich versuche weiter, dem Arschloch-Virus auszuweichen, der die beiden offensichtlich befallen hat. Aber ich werde auch nicht mehr so tun als wäre ich ein woker Influencer. Aber dazu später irgendwann mal.
Was erwartet euch also? Nun, rechnet mit einer Mischung aus persönlichen Anekdoten (z.B. warum meine Muse jetzt "Claude" heißt), Analysen aktueller Trends (vor allem im Bereich "Spatial Realities" und KI) und philosophischen Betrachtungen (Wenn ein 🌳 im Metaverse umfällt und niemand da ist, um es zu sehen – macht er dann ein Geräusch?).
Seid ihr bereit, mit mir in den Kaninchenbau der Hyperrealität zu springen? Dann schnallt euch an, es könnte ein langer Fall werden. Und wer weiß – ich will nicht ausschließen, dass die physische Realität am Ende doch nicht so schlecht ist. Oder zumindest die lebenswerteste Simulation, die wir haben
PS: Für alle, die sich jetzt fragen, was zum Teufel Hyperrealität eigentlich ist (und warum ich diesen Begriff als Sammelbecken für meine digitalen Abenteuer missbrauche):
Hyperrealität ist ein Konzept, das maßgeblich von dem französischen Soziologen Jean Baudrillard geprägt wurde. (Ja, der Typ, dessen Ideen die Wachowskis für "Matrix" geklaut haben. Zumindest war sein entscheidendes Buch kurz zu sehen.) Es beschreibt einen Zustand, in dem die Realität durch eine Repräsentation der Realität ersetzt wird. Anders gesagt: Wir leben in einer Welt, in der die Simulation realer erscheint als die Realität selbst.
Klingt verwirrend? #isso!
Ich benutze diesen Begriff als Sammelbecken für all die Phänomene, die unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit verzerren, erweitern oder ersetzen. Das reicht von Instagram-Filtern, die uns alle wie makellose Anime-Figuren aussehen lassen, über virtuelle Influencer, die nie existiert haben, aber trotzdem Millionen verdienen, bis hin zu KI-generierten Nachrichtenartikeln, die so überzeugend sind, dass selbst ich manchmal vergesse, dass sie von einer Maschine geschrieben wurden.
Warum ich gerade diesen Begriff gewählt habe? Nun, zum einen klingt er verdammt cool und befriedigt das Lehrerkind in mir. Zum anderen fasst er perfekt zusammen, was ich beobachten und erforschen möchte: Wie wir als Gesellschaft und als Individuen mit einer Welt umgehen, in der das "Echte" und das "Künstliche" immer schwerer zu unterscheiden sind.
Wer ein bisschen was lesen will, fängt am besten bei Wikipedia an.