Zwischenruf: Rettet die Innenstädte - kauft online!
Ein Text über 500 Euro, grauenhafte Innenstädte und die Hoffnung auf eine lebenswerte Stadt.
Zwischenrufe sind in diesem Blog kurze, anlassbezogene Aufreger-Texte, kurz: Zeug, das mal raus muss, spontane Meinungen und Beobachtungen, die ich unbedingt loswerden will, ohne allzu tief zu recherchieren oder konzipieren. Hier eine zum Thema Einzelhandel in Städten.
Vor kurzem las ich irgendwo in den Medien, hier hab ich es heute wiedergefunden, dass der deutsche Einzelhandel für jeden Bürger einen 500 Euro-Einkaufsgutschein fordert, damit wir alle gemeinsam einen gigantischen "Einkaufsbummel" unternehmen, um nach der Pandemie die Innenstädte zu retten. Die sind nämlich durch das Ladensterben, so lässt der HDE immer wieder verlauten, akut bedroht.
Dazu muss ich leider sagen: ich würde den Gutschein wahrscheinlich verfallen lassen oder verschenken. Klar, das muss man sich leisten können, aber ganz ehrlich: 500 Euro Schmerzensgeld reichen mir persönlich nicht, um mir in einer deutschen Fußgängerzone den Tag zu versauen. Die Kölner Hohe Straße und die Schildergasse sind Konsumhöllen der schlimmsten Art. Einzelhandelskettendependance reiht sich an Einzelhandelskettendependance, unterbrochen nur von Fast Food Läden und Taubenkacke. Und das soll ein schützenswertes Konzept sein? Es fehlt alles, was eine Stadt lebenswert macht. Plätze zum Verweilen, Orte der Muße, kleine Cafés, Kultureinrichtungen, kleine Läden voller Überraschungen und Liebe - eben all das, was eine schöne Stadt ausmacht. Ich bin kein verdammter Verbraucher sondern ein 360 Grad Homo sapiens mit sehr differenzierten Bedürfnissen. Aber die deutschen Innenstädte, die ich kenne, sehen mich nur als Konsument, der von Laden zu Laden getrieben werden muss, ohne Pause, mit geöffneter Brieftasche und geschlossenen Augen und Ohren. Da gibt es nichts zu retten. Das muss weg. Die Bedrohung ist nicht das Sterben, sondern das Existieren.
Verteilt ruhig 40 Milliarden, kein schlechter Konjunkturschub. Aber lasst uns entscheiden, wo wir das ausgeben. Online ist die beste Lösung. Dann endet das alles schneller. Das Institut für Handelsforschung sagt, dass die Pandemie den Strukturwandel in den Innenstädten ohnehin um 7 Jahre beschleunigt hat. Und das ist letztlich eine gute Nachricht:
"Branchenkenner gehen deshalb davon aus, dass die Innenstädte in den nächsten Jahren ihr Gesicht dramatisch verändern werden. Wo heute noch der Modehandel, Schmuckgeschäfte, Elektronikmärkte und Parfümerien dominieren, könnte eine neue Vielfalt einziehen. Angesichts des wachenden Onlinehandels sei künftig ein neuer Mix aus Einkaufen, Wohnen, Dienstleistungen, Gewerbe, Kultur, Freizeit und Bildung nötig, ist etwa der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) Stefan Genth überzeugt. "Das Modell der Innenstadt hat noch lange nicht ausgedient", meint er. "Aber es wird anders aussehen." (Fashionunited.de, 28.6.2021)
Also lasst uns den Niedergang lieber beschleunigen statt bremsen. Es besteht die Chance, Städte zu schaffen, die den Namen wirklich wert sind. Es können Orte werden, wo sich Bürger wieder treffen, vergnügen, lernen, unterhalten - keine Zwangsabfertigungsstellen gestresster Verbraucher. Also kauft online, gerne lokal und bei kleinen Händlern. Aber meidet die Innenstädte.